Was haben wir getan?
Die Deutschlektionen der letzten Wochen widmeten wir einem weiteren Deutschen Literaturklassiker: Woyzeck, geschrieben von Georg Büchner. Der Protagonist heisst - wie der Titel verrät - Woyzeck und sein Leben ist ein Schwieriges. Er hat grosse finanzielle Schwierigkeiten und übt mehrere Berufe gleichzeitig aus, doch auch so kommt er nur knapp über die Runden. Er muss nämlich neben sich selbst auch noch sein uneheliches Kind und deren Mutter - Marie - versorgen. Ferner ist Woyzeck ist psychisch instabil und leidet unter Schizophrenie. Praktisch sein ganzes Leben dient dazu, den Unterhalt seiner Familie sicherzustellen, und diese wird in der Geschichte so beschrieben, als wäre sie die letzte schöne Sache in seinem Leben, die letzte Umgebung, die ihm wenigstens ein Bisschen Geborgenheit und Liebe bietet und die letzte Umgebung, wo er sich von den Erniedrigungen vonseiten Tambourmajor und Hauptmann erholen kann. Doch dieser Rückzugsort wird ihm genau von ebendem zerstört: Trotz anfänglichem Widerstand lässt sich seine geliebte Marie auf eine Affäre mit dem Tambourmajor ein. Affären geschehen aus verschiedenen Gründen: Die einen suchen den Seitensprung aus der Unzufriedenheit mit ihrer aktuellen Beziehung, andere sind vom Reiz des Verbotenen angezogen und in weiteren Fällen können auch Aussichten auf materielle Vorteile oder einen sozialen Aufstieg für ein Hintergehen des Liebespartners ausreichen. So auch Marie: Durch den Seitensprung mit dem Tambourmajor, welcher einen höheren sozialen Status als Woyzeck hat, kommen für Marie Chancen auf obengenannte Dinge in Aussicht. Die Affäre wird nicht weitergeführt und in ihren Schuldgefühlen verloren wendet sich Marie der Kirche zu.
Das Erfahren über Maries Affäre zerstört Woyzecks letzten Grund zu Anstrengung in seinem Leben - seine Familie - und bewirkt eine rapide Talfahrt seiner psychischen Verfassung. Diese gipfelt darin, dass sich Woyzeck ein Messer kauft - eine Pistole kann er sich nicht leisten - und Marie während eines Spaziergangs ermordet und sich ihrer Leiche in einem nahgelegenen See entledigt. Nach der Tat begibt sich der blutverschmierte Woyzeck in einen Gasthof, wo er versucht, mit so zu tun als sei alles normal. Als die Menschen das Blut auf Woyzecks Kleidung bemerken, entfernt sich dieser wieder aus dem Gasthof. Kann man Marie nun indirekt eine Schuld am Mord an ihr selbst zuschreiben, da sie durch die Affäre mit dem Tambourmajor den auch sonst schon labilen Woyzeck pychisch weiter strapaziert hat? Dies wäre vielleicht schon zu weit gegriffen und es wäre ungerecht, Marie die Schuld am Mord an ihr zu geben. Sie hat mit ihrer Affäre das Fass möglicherweise zum überlaufen gebracht, doch daneben flossen auch viele andere Faktoren in das Verhalten Woyzecks ein, wie die immer wiederkehrenden Diffamierungen des Hauptmanns und des Tambourmajors, die immer wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf hängende Existenzbedrohung und nicht zuletzt seine mutmassliche Schizophrenie.
Und wie geht’s weiter?
In dieser Geschichte erlebten wir ein Beispiel einer Reaktion auf eine Affäre des hintergangenen Liebespartners. Partner, welche erfahren, dass sie betrogen wurden, reagieren stets sehr emotional. Doch es gibt auch andere Perspektiven auf Affären, auch wenn diese in der Regel als schwere moralische Fehltritte angesehen werden. Dazu veröffentlichte die NZZ einen Artikel mit dem Titel “Eine Affäre empfehle ich allen. Besonders Frauen», sagt eine Mutter, die jahrelang fremdging” In diesem Artikel beschreiben vier Männer und Frauen ihr Leben neben der Ehe, weshalb sie sich dafür entschieden, eine Affäre zu suchen und wie sich dies insgesamt auf ihr Eheleben auswirkte. So beschreibt ein Mann in diesem Artikel, dass er durch die Affäre stets befriedigt und ausgeglichen nach Hause kam und so ein “guter Vater, ja vielleicht sogar ein besserer Mensch” sein. Ein anderer Mann beschrieb, dass es ihm bei seinen Affären gar nicht um den Geschlechtsverkehr ging, denn “sonst hätte ich ja auch ins Puff gehen können. Der Reiz war die Zeit davor und danach, die Gespräche, das Kuscheln”. Darüber, ob es bei Marie ähnlich war oder ob ihre Motivation doch eher von materiellen Bedürfnissen ausging, können wir nur spekulieren. Komplett undenkbar wäre dies jedoch wohl kaum, denn Woyzeck ging mehreren Tätigkeiten gleichzeitig nach und deshalb dürften die Bedürfnisse von Marie wohl eher zu kurz gekommen sein.